Begegnung im Zug

Ich saß an einem Tisch im Bistrowagen des IC von Berlin nach Hamburg. Rechts von mir war ein frei zugänglicher Sitzplatz. Der Platz, auf dem ich saß, bildete mit dem links von mir eine Eckbank. Ich versperrte also den Zugang zum freien linken Platz und hatte außerdem meinen Rucksack darauf gestellt.
Irgendwann setzte sich jemand auf den rechten Platz. Nach einiger Zeit
ging jemand hinter mir vorbei, stellte sein Getränk auf dem Tisch ab
und begann wild zu gestikulieren. So hörte es sich zumindes an. Er hatte
eine „Wetterjacke“ an, aus einem Stoff, der bei der kleinsten Bewegung
Geräusche verursacht. Ich dachte zuerst, „Entweder der ist durchgeknallt,
oder er steht unter Drogen, So hektisch, wie der zappelt.!
Das ging so einige Minuten. Auf einmal kam mir der Gedanke, es könne sich um einen Gehörlosen handeln, der Gebärden macht. Ich wendete mich an den rechts von mir Sitzenden, um ihn zu fragen, ob das so sei: „Entschuldigen sie?“ – Als ich keine Antwort bekam, wurde mir die Situation schlagartig klar. Die Beiden gehörten offenbar zusammen und hatten sich wahrscheinlich über die Schwierigkeit unterhalten, mir klar zumachen, dass ich den Nachgekommenen durchlassen sollte.
Ich überlegte kurz, was ich tun könnte, um mir volle Gewissheit zu verschaffen. Dann nahm ich meinen Rucksack hoch und strich mit dem Handrücken an der Rückenlehne hoch. Der Stehende sagte: „ja“. Ich Nahm den Rucksack ganz weg und stand auf, um ihn durchzulassen.
Dann saßen die Beiden sich gegenüber und ich konnte hören, wie sie sich
unterhielten, wenn ihre Hände mal den Tisch berührten. Ich habe mich über dieses Ereignis so gefreut, dass ich mal den Einen, mal den Anderen
anlächelte. Mir fiel aber kein Weg ein, darüberhinaus zu kommunizieren.
Zum Schluss habe ich mir am Tresen einen Kulli besorgt und versucht etwas aufzuschreiben. Leider bin ich, außer bei meiner Unterschrift, nicht im Schreiben geübt und es hat nicht hingehauen. Meinen Namen konnten sie wohl lesen und sie sprachen „Robbie“ aus. Ich nickte und sie stellen sich als Steven und Martin vor, wobei ich mir bei der Schreibweise von Steven nicht sicher bin. Es könnte ja auch das englishe Stephen gemeint sein, das genauso ausgesprochen wird.
Als wir Hamburg erreichten zog ich mich an. Kurz bevor ich ging, sagte einer das Wort „E-Mail“. Ich weiß nicht, was mir die Gedanken vernebelt hat, dass ich nicht geschaltet habe. Erst auf dem Bahnsteig wurde mir klar: Das war ein Angebot bzw. ein Versuch zur Kontaktaufnahme. Ich ärgere mich schwarz, dass ich nicht reagiert habe. Ich hätte ihm ja bloß den Stift hinhalten müssen, als Zeichen, dass er aufschreiben soll. Um die verpasste Chance wieder gut zumachen, habe ich eine Suchanzeige in einigen Internetseiten von Gehörlosen-Organisationen platziert. Die Beiden haben sich noch nicht gemeldet, aber es sind auf die Schilderung meines Erlebnisses hin schon positive Reaktionen von anderen Gehörlosen eingegangen.

Ich habe mich so über diese Begegnung gefreut, weil Blinde und Gehörlose normalerweise keine Berührungspunkte haben, eben weil die Kommunikation denkbar schwierig ist. Ich hatte, zumindest für einen kurzen Moment, das Gefühl, die Barriere überwunden zu haben.

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