Kölner Stadtanzeiger, 25. Mai 2012
Sommerblut-Festival „Blinde und Kunst“ veranstaltet ein intensives Konzerterlebnis
VON MARTIN BOLDT
Der von Kritikern gern angebrachte Satz, „Sie beherrschten ihre Instrumente blind“, erhält am Montagabend im Studio 672 im stadtgarten eine völlig neue Bedeutung. Der „Blackout“, wie das Event vom Sommerblut-Festival betitelt wird, ist Programm: Nicht nur die Bühne, auch das Publikum ist in rabenschwarze Finternis gehüllt. Nicht der kleinste Lichtstrahl dringt in den Saal, als Katharina Saerberg an der Bratsche und Alex Goretzski am Piano das Konzert eröffnen – dafür haben die Künstler im Vorfeld gesorgt.
Auf gleicher Augenhöhe
„Solche Blackout Session machen wir immer mal wieder“, erklärt Siegfried Saerberg. Mit ‚wir‘ meint er sich und die anderen Mit Mitglieder von „Blinde und Kunst“, einem Kölner Verein, der es sich seit 20 Jahren zur Aufgabe gemacht hat, mit verschiedenen Kunstaktionen eine Brücke zwischen Blinden und Sehenden zu bauen. „Indem wir unsere Veranstaltungen im Dunkeln stattfinden lassen, können wir uns auf gleicher Augenhöhe treffen. „Weil bei „normalen“ Menschen mit dem Ausbleiben von Licht schnell auch die räumliche Orientierung schwindet, ergibt sich dabei sogar öfterdie wohltuende Situation, dass auch die Sehbehinderten einmal in die Rolle des Helfers schlüpfen können. „Wir führen die Besucher bereits im Dunkeln auf ihre Plätze und unterhalten uns mit ihnen. Man lernt so neue Leute kennen, die einen im Alltag vielleicht niemals angesprochen hätten“, sagt Saerberg. „Blinde und Kunst“ ist jedoch kein exklusiver Club, auch Künstler ohne Behinderung sind gern gesehen. Sie stellen derzeit etwa die Hälfte der 30 Mitglieder.
In der Praxis, wie bei der kleinen und vollgestellten Bühne des Studios 672, wird das schnell zu einer kleinen Herausforderung. „Sicher läuft nicht alles so perfekt, wie auf einer sehenden Bühne. Es gibt schon einmal eine kleine Kunstpause, wenn jemand noch nach seinem Mikro sucht. Aber es macht uns Spaß und ist eine ehrliche Sache. Unsere eigenen kleinen Blackouts sind im Prinzp Teil der Show.“
Das eigentliche Programm, das den Zuhörern geboten wird, ist ein netter Kessel Buntes. Die blinde Sängerin Andrea Eberle singt auf Deutsch frisch von der Leber über Beziehungsstress und heitere Alltagsmomente. Dass sie den erbetenen Chor zum Refrain von „Wieder gut“ überaus lautstark erhält, verwundert nur wenig. Im Schutze der Dunkelheit hat plötzlich niemand mehr Angst davor, sich vor seinem Sitznachbarn zu blamieren. Wie in den afrikanischen Urwald versetzt fühlt man sich, als die Trommelgruppe „Taktlos“ den Saal mit wilden Rhythmen in einen tranceähnlichen Zustand versetzt.
Wieder zurück im Hellen, geben sich die Besucher beeindruckt von dem ungewöhnlichen Erlebnis: „Ich hatte den Eindruck, die Musik auf besondere Weise wahrzunehmen. Die Vibrationen der Trommeln waren viel intensiver“, schildert Ingrid Hilmes ihre Eindrücke während des Konzerts. „Es war ein interessantes Erlebnis. Dass es Stühle gab, an die man sich klammern konnte, hat in gewisser Weise beruhigend gewirkt“, findet Zubair Kunze.